Foyer Features

Von Joelle Lieser

 

Der neunzehnjährige Schüler Kasra Ahmadi kam vor zweieinhalb Jahren aus dem Iran nach Deutschland. Letztes Jahr wirkte er bei der App-Oper Unterwelt mit und ist seit dieser Spielzeit Mitglied im Club XL. In die Oper zu gehen eröffnete ihm ganz neue Möglichkeiten.

 

Kasra Ahmadi
 

Ein neuer Anfang


Als ich aus dem Iran nach Hannover kam, habe ich am Anfang viel Zeit in einem Jugendzentrum verbracht. Dort wurde Werbung gemacht für Unterwelt, und da ich eigentlich schon damals im Iran Lust hatte auf Schauspiel, aber nie eine Chance hatte irgendwo zu spielen, habe ich mich angemeldet. Das lag auch daran, dass ich hier in Deutschland nun wesentlich mehr Zeit habe, die Dinge zu machen, auf die ich Lust habe. Schon beim ersten Treffen habe ich gemerkt, dass das ein cooles Projekt ist. Nach einer kleinen Führung standen wir im Opernhaus auf der Seitenbühne. Als die Projektleiter dann erklärten, dass wir in einem Jahr selbst dort auf dieser großen Bühne stehen würden, wollte ich unbedingt weitermachen. Ursprünglich war dabei meine größte Motivation, abgesehen vom Schauspielen, die deutsche Sprache besser zu lernen. Damals konnte ich noch nicht so gut Deutsch,  und ich hatte auch nicht viele Leute zum Reden, bis auf die Menschen in der Schule und im Jugendzentrum. Aber je mehr Leute, desto mehr Übung.

 

Der tollste Moment war dann die Aufführung von Unterwelt. Vor allem, als ich selbst auf der Bühne stehen durfte. Da stand für mich fest, dass ich unbedingt weitermachen möchte. Nach einem Gespräch mit Kirsten Corbett, die das Projekt betreut hat und auch für den Club XL zuständig ist, habe ich mich direkt dort angemeldet. Etwa 80 Prozent der Leute dort waren vorher auch bei Unterwelt. Das fand ich ziemlich schön, denn so konnte man in dieser Gruppe weiterarbeiten, und ich bin auch sehr dankbar für diese Menschen, die durch die beiden Projekte meine Freunde geworden sind. So eine Freundesgruppe hatte ich vorher nie. Alle sind so positiv, und selbst, wenn man mal einen schlechten Tag hat, muntern sie einen auf. Nach den Proben geht es mir immer besser als davor. Auch habe ich in den Pausen schon super nette Leute kennengelernt. Man kann am Opernhaus auf jeden Fall immer gute Gespräche führen.

 

Mir hat auch noch etwas anderes sehr gut gefallen, als ich bei Unterwelt hinter die Kulissen schauen durfte: Alle Leute waren nett zueinander. Man hat sich wirklich gefühlt wie ein Teil der Opernfamilie, obwohl man die Menschen gar nicht kannte. Das fing schon damit an, dass sich alle freundlich gegrüßt haben. Das hat mich teilweise sogar richtig gewundert. Zum Beispiel war ich einmal in der Kantine, um mir etwas zu Essen zu kaufen, und der Mann, der an der Theke stand, hat ein Gespräch mit mir angefangen. Sowas kenne ich aus meiner Schule gar nicht. Da ist alles, was man von den Leuten zu hören bekommt ein „Das macht 2,50€. Schönen Tag.“ Das ist jetzt natürlich nur ein Beispiel, aber das ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, in so einem Umfeld zu arbeiten.

Perspektivenwechsel


Wie bereits gesagt, habe ich mich schon in der Schule im Iran für Theater interessiert. Ich glaube, es war also eine Frage der Zeit, bis ich wirklich Erfahrungen sammeln und mich ins Theater verlieben konnte. Eigentlich wollte ich Maschinenbau studieren, aber je länger ich bei Unterwelt dabei war, desto mehr konnte ich mir vorstellen, beruflich eher in die künstlerische Richtung zu gehen.

 

Im Iran war ich nie im Theater, und die Oper kannte ich kaum. Nachdem ich hier in Deutschland einiges gesehen habe, muss ich sagen, dass ich nicht gerne ins Schauspiel gehe, weil dort viele Dinge für mich keinen Sinn ergeben. Es ist anders, wenn man selbst spielt. Als Zuschauer verstehe ich vieles nicht. Aber in der Oper ist das anders, da versteht man vieles durch die Musik. Allerdings singe ich selbst nicht gerne. Wenn ich also gefragt werde, was ich selbst lieber machen würde, dann wäre das Schauspielen. Ich könnte mir nicht vorstellen als Opernsänger zu arbeiten. In die Oper zu gehen macht mir aber mehr Spaß, als ins Theater zu gehen oder einen Film anzuschauen, denn die Oper ist ein Gesamtkunstwerk, finde ich. Sie hat alles in einem: Gesang, Schauspiel und Musik. Es ist perfekt.

Große Gefühle und ein peinlicher Patzer

 

Mittlerweile gehe ich häufig in Vorstellungen. Die tollste Oper, die ich gesehen habe, war Tosca. Die Musik war so stark, dass ich ein Kribbeln im Bauch hatte. Am Ende habe ich mich so gefühlt, als wäre ich selbst dabei gewesen und hätte alles das erlebt, was Tosca durchmachen musste. Dieser Effekt war wirklich krass. Jedes Mal, wenn ich die Musik höre, könnte ich anfangen zu weinen. Ich wollte mir das Stück auch unbedingt nochmal anschauen, da kam aber leider Corona dazwischen. Was mir auch sehr gut gefallen hat, war das Ballett 3 Generationen. Ich hatte ja bereits zum Schauspiel gesagt, dass ich da oft nicht verstehe, warum sie jetzt genau das machen, was sie gerade tun. Das war im Ballett ganz anders. Ich hatte das Gefühl, ich verstehe, warum sie sich so bewegen und was sie damit ausdrücken wollen. Also Tosca und 3 Generationen möchte ich mir auch auf jeden Fall nochmal anschauen.

 

Mir ist aber auch einmal etwas richtig Peinliches passiert. Ich war in einem Sinfoniekonzert, und es wurde ein sehr ruhiges Stück gespielt. Irgendwann wurde die Musik dann ganz leise und das Orchester hat aufgehört zu spielen. Ich dachte, das Stück sei schon zu Ende und habe angefangen zu klatschen,  und weil ich damit anfing, haben ein paar andere Leute auch applaudiert. Der Mann, der neben mir saß, hat mich daraufhin in die Seite geschubst und mich bestimmt zwei Minuten lang beschimpft und mich gefragt, ob ich wirklich so dumm sei, einfach so mit dem Applaus anzufangen. Das hat die Situation nicht unbedingt besser gemacht.

Rückblickend…

 

denke ich häufig an den Tag des ersten Unterwelt-Treffens. Nach einem langen Schultag war ich sehr erschöpft und hatte mich eigentlich schon dazu entschlossen, doch nicht teilzunehmen. Wäre ich an diesem Tag wirklich nicht hingegangen, glaube ich nicht, dass ich heute in diesem Blog erscheinen würde. Wenn ich etwas nicht von Anfang an machen kann, dann möchte ich es gar nicht machen. Ich brauche das Gesamtpaket. Ich denke auch oft darüber nach, wie mein Leben heute wäre, wenn ich nicht die Entscheidung getroffen hätte, mich zusammenzureißen und doch zu dem Treffen zu gehen. Und ich denke auch an die Bedeutung, die Oper seitdem für mich hat. Am Anfang war es wirklich nur eine nette Gruppe, in der ich Leute gefunden habe, mit denen ich mich unterhalten konnte, um so meine Deutschkenntnisse zu verbessern. Mit der Zeit habe ich mich aber eher so gefühlt, als würde ich im Opernhaus arbeiten, und es wurde zu einer Leidenschaft.  

 

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